Auf dem Fabrikgelände von Thiem & Töwe in Halle entstanden ab 1902 Produktionsgebäude und es erfolgte 1906 der Umbau beziehungsweise die  Erweiterung eines bereits 1860 errichteten Kontorgebäudes in die heutige Jugendstilvilla, in der auch Walther Thiem lebte.


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Neben Gaszentralen baute Thiem&Töwe auch alle Arten von Wasserpumpen und Hauswasserwerke.  Damit konnte Thiem&Töwe nun eine Komplettversorgung für Häuser anbieten, die etwas abseits lagen. Stadtvillen im Speckgürtel oder Landsitze konnten damit denselben Luxus wie Licht und fließend Wasser bieten, wie er in den Ballungszentren möglich war. Denn in den großen Städten gab es ja die großen Gasometer und Wassertürme.


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Obgleich es bereits elektrisches Licht gab, hielt man gerade für größere Räume auf Bahnhöfen in Villen und Museen an der Gasbeleuchtung und der Verbesserung der Leuchtkraft fest. Diese war heller und sparsamer im Verbrauch als elektrisches Licht. Solange Arbeitskraft und damit verbundener Lohn nicht ins Gewicht fiel nahm man die wartungsintensiveren Gasanlagen billigend in Kauf. Die Glühstrümpfe mussten beispielsweise sechs Mals so oft gewechselt werden wie elektrische Glühbirnen. Hinzu kam das regelmäßige Auffüllen des Gasolins, dem Brennstoff, der mit Luft unter Druck in die Leitungen gepresst wurde.


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Die Ingenieursarbeit dazu wurde von Max Töwe geleistet, der 1903 ein neues Verfahren zur Erzeugung von Benoidgas entwickelt und patentiert hatte. Dieses Leuchtgas war sparsam im Verbrauch, brannte hell und war praktisch rußfrei.

1905 hatte Thiem & Töwe bereits etwa 400 dieser Maschinen im Einsatz, hauptsächlich jedoch nur für Einzelgebäude. Der erste Großauftrag Laternen für einen ganzen Ort, ließ den Sohn Walther 1905 um ein Darlehen des Vaters bitten, jener gab daraufhin seinen Rembrandt zum Verkauf frei. „Der Mann mit dem Stahlkragen“ kam so über die Paris-New Yorker Galerie Gimpel und Wildenstein für 120000 Dollar an Benjamin Altmann,  der das Gemälde später dem Metropolitan Museum schenkte. *(siehe Quelle 1) Da die Urheberschaft heute bezweifelt wird, könnte es durchaus sein, das Paul Thiem, der Maler aus Starnberg das Gemälde angefertigt hatte.


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Rembrandts „Der Mann mit dem Stahlkragen“


Die ersten beiden Großaufträge konnten vorfinanziert werden, so dass für Bad Berga und die Stadt Laage eine Anlage zur städtischen Versorgung eingerichtet werden konnte. 70 Hausanschlüsse und 30 Straßenlaternen wurden von zwei Maschinen mit einer stündlichen Gaserzeugungskapazität von 23 m³ versorgt.

In Bad Berka wurde die Firma Thiem & Töwe 1905 mit der Einrichtung einer Gaszentrale beauftragt, mit der das alleinige Recht zur Erzeugung, Abgabe und Verteilung von Licht und Heizung auf die Dauer von 30 Jahren verbunden war. Die Stadt verpflichtete sich, keine weiteren Licht- und Heizungsanlagen auf städtischem Grund und Boden zu gestatten. Die Zentrale wurde in der Bachgasse/Ecke Harthstraße (heutige Bachstraße 1) errichtet und ging am 1. Mai 1906 in Betrieb. Am 16. Mai wurde die mit Benoidgas betriebene Straßenbeleuchtung bestehend aus 48 Straßenlaternen eingeweiht.

Nachweislich wurde auch der Übergangsbahnhof in Skalmierzyce in Polen mit einer Anlage ausgerüstet. Für die damaligen Verhältnisse war es günstiger eine Gasanlage zur Beleuchtung zu betreiben. Das Licht war heller und man war unabhängig von Stromversorgern. Doch im Zuge der Elektrifizierung wurde die wartungsintensive Benoidgasanlage durch Glühlampen ersetzt.


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Übergangsbahnhof in Skalmierzyce in Polen


Adolph Thiems Sommerhaus befand sich in San Remo einem damaligen Hot Spot der politischen Elite. Sowohl Zar Nikolaus von Russland als auch englische Botschafter wohnten Haus an Haus mit dem deutschen Herrscher Friedrich dem III. Es war quasi das Wandlitz des Europas vor 1900.  Als die Geschäfte mit den Thieme&Töwe Komplettanlagen zu Beginn des 20 Jahrhunderts auf dem Höhepunkt und die Bilder an des Kaiser Friedrich Museum verkauft waren, errichtete Thiem zunächst einen Kursaal für Empfänge neben seiner Villa, und ließ diesen später umfangreich erweitern und von der Stadt Sanremo als Casino nutzen. So verwundert es auch nicht das zwischen dem 19. und 26 September 1920 die Alliierte Siegerkonferenz von Sanremo in Thiems Casino stattfand. Dort wurde die israelische Besiedlung Palästinas beschlossen. Ein Land, das zuvor weder elektrifiziert war, noch mit Wasser versorgt wurde.  Auch hier witterte Thiem Möglichkeiten Anlagen von Thiem&Töwe an Mann zu bringen, schließlich war er mit einigen Teilnehmern der Konferenz auch befreundet wie dem Earl of Poulett Hinton House.

Durch die Nähe zum Kaiser konnte Adolph Thiem noch vor dem ersten Weltkrieg lukrative Aufträge für Thiem & Töwe auch an andere Herrscherhäuser vermitteln wie aus oben abgebildetem Prospekt von 1914 hervorging. Gerade das Russlandgeschäft war ein lohnendes, da in einem Flächenland wie Russland lange vor der Elektrifizierung staatliche Stellen mit Gas, Licht und Wasser versorgt werden mussten. Insbesondere die abseits liegenden Übergangsbahnhöfe, also dort wo die Züge auf das breitere russische Gleis versetzt wurden, fand man die Thiemschen Anlagen. Da in mehreren Quellen Adolph Thiem auch Baron Thiem genannt wird, aber der Titel Baron um 1900 nicht mehr verwendet wurde, konnte dies nur durch eine Ausnahme zustande gekommen sein, er wurde von Zar Nikolaus dem II geadelt. Da der Titel Baron nur vom baltischen Adel vergeben wurde.

Neben der Würdigung durch die Verleihung des preußischen Kronenordens lag eine Erhebung in den Adelsstand nur Nahe. Die Verschärfung des politischen Tons aus Berlin könnte ein Grund gewesen sein, warum Thiem schon 1892 Deutschland Richtung San Remo verließ. Die Figur Wilhelm der II war innerhalb der Verwandtschaft in den Herrscherhäusern Europas nicht sehr angesehen und dieser von Minderwertigkeitskomplexen beseelte Mensch herrschte nun. Er hatte auch einige unpopuläre konservative  politische Entscheidungen getroffen, was die Museen anging. Sicher erinnerte sich Thiem auch an den Fehlwuchs des Kaisers seit frühster Kindheit, wo beispielsweise frisch erlegte Hasen ausgeweidet wurde und der 15 cm kürzere Arm Wilhelms in dem Kadaver Wachstumsschübe versetzt werden sollten. [vergl. John C.G. Röhl: Wilhelm. C.H. Beck 2013. S.12.]

In dem oben genannten Prospekt konnte Thiem & Töwe nicht nur mit direkt für die Kaiserliche Familie gebaute Anlagen werben, wie die für Prinz Eitel Friedrich von Preußen in dessen Jagdhaus „Esperort“ auf dem Dars.


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Prinz Eitel Friedrich von Preußens Jagdhaus „Esperort“


Thiem und Töwe schmückte sich neben einer endlosen Liste von Ämtern im In- und Ausland auch für die kaiserlichen Amtsgerichte in Elsaß und Lothringen, das Militäramt in Metz, die russische Kadettenanstalt in Odessa und sogar das königlich serbische Kriegsministerium. Es schien fast so als sei der ganze erste Weltkrieg im Schein der mit Benoid-Leuchten geplant worden zu sein und zwar von allen Kriegsteilnehmern. Dies war den Inhabern der Fabrik wohl auch bewusst, ansonsten wären sie wohl kaum auf den Slogan gekommen „Benoid Gas ist international über die ganze Erde verbreitet“


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Bis 1914 wurden 3000 Benoid-Gas-Anlagen verbaut, wie auch hier in der königlich  böhmischen Irrenanstalt Bohnice bei Prag. Tausende Anlagen hieß auch, diese mussten  versorgt werden mit Hexan, das die in Halle Saale ansässige Riebecksche Montanunion als Abfallprodukt bei der Öl- und Wachsproduktion in den Handel bringen konnte. Handelsname dieses Leichtbenzins war Gasolin, das spätestens ab 1920 als Warenname Einzug hielt.


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Königlich böhmischen Irrenanstalt Bohnice bei Prag


Im Zuge der Elektrifizierung und dem immer preiswerterem Strom, kam es aber zu Auseinandersetzungen zwischen Thiem & Töwe und der Stadt Bad Berka. Um die 30-jährige Sperrfrist zu umgehen, kaufte die neugegründete Bad Berkaer Gaswerksgesellschaft das Gaswerk für die Stadt zurück, 1923 wurde die Produktion von Gasapparaten eingestellt, aber es gab längst neue Anwendungen wie Hydraulikteile für Flugzeuge und Autos.

Ältere Nachbarn in der Hordorfer Straße dem Sitz der Thiem&Töwe, erinnern sich noch, dass es ein paar alte Straßenlaternen mit Gaslicht gab, die von einem Beno bis 1985 betrieben wurden, so nannte Thiem seinen Verdichter. Diese Nachbarn hatten einen Trick drauf mit einem kräftigen Fußtritt an den Laternenpfosten das Gaslicht an- oder abzustellen. Damit kamen sie dem Mopedfahrer zuvor, der in Dämmerung und im Morgengrauen angeknattert kam und mit einem langen Haken jede Laterne einzeln dimmte oder erhellte. In den Laternen glimmte am Tag immer so ein Glühstrumpf. Wenn man den in geschlossenen Räumen  ausblies konnte man sich zurücklehnen und langsam einschlafen, um nie wieder zu erwachen. So zum Beispiel zwei Lebensmüde in Franz Werfels Roman Abituriententag, der in der schönsten aller Städte, in Prag spielt.