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Vom Gaslicht zum größten Neonreklamehersteller des Ostblocks

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Um einen Zeitensprung vom Gaslicht auf die Neonleuchten zu schaffen, beginne ich mit dem Goethe-Zitat: „Das Alte in Treue bewahren, das Neue mit Freude befördern“. Hoffentlich kommt man nicht eines Tages auf die Idee an der Effizienz von Wachskerzen zu zweifeln und per Gesetz durch LED zu ersetzen. Das macht das Ausblasen der Lichter auf der Geburtstagstorte besonders schwer oder leicht, man zieht einfach den Stecker.

Oben auf dem Bild ist die berühmteste Neonreklame des VEB Neontechnik an der Autobahn A9 kurz vor der Elbbrücke. Die Wortschöpfung Plaste und Elaste ging in den Wortschatz ein, auch heute sagen viele Ostdeutsche noch Plaste statt Plastik. Prof I. Kühn aus Halle wollte sogar beweisen das sich in der Ex DDR eine eigene Sprache entwickelt hatte und zog unter anderem diesen semantischen Leckerbissen hervor und ließ mich als damaligen Germanistikstudenten die DDR Literatur nach sprachlichen Inselbegriffen durchforsten.  Bundestagsaltpräsident Thierse, von Haus aus auch Germanist,  hielt jedoch in einer seiner Reden von 2012 hoch, das man die sprachlichen Unterschiede nicht betonen, sondern sich eher auf das Verbindende der gemeinsamen Sprache besinnen sollte. Trotzdem waren die weithin sichtbaren Buchstaben PLASTE einzeln 1,5 Meter hoch und wurden vom Schriftdesigner, S. Berthmann,  Mitarbeiter der Neontechnik 1978 entworfen, bis sie 1998 abgebaut wurden.

Doch wieder zurück zur Geschichte der Hordorfer Straße 4

Auf SMAD Befehl wurde 1947 der Anbau an die Produktionshallen ganz im südlichen Teil des Grundstücks gebaut, wo heute der Hühnermanhattan Klub unten drin ist.

Die Schwermaschinen und Kräne die in den übrigen Werkhallen vorhanden waren wurden in der DDR enteignet, weil Haassengier für Nazis Flugzeugarmaturen und Hydraulikteile und Kühler für Junkers Flugzeuge baute. Offiziell wurde 1953 am 26.03 VEB Elektrowaren gegründet und Thiem und Töwe am 1.4.1953 trat in Liquidation weil die Steuerbehörde das Betriebsvermögen pfändete. Später wurden die Anlagen ins Kombinat VEB Neontechnik eingegliedert. In den DDR Jahren hatte auch Neontechnik mit Flüchtlingen zu kämpfen, vor allem mit deren Abwesenheit, damit dass über Nacht wichtige Ingenieure gen Westen flohen. Um dem entgegenzuwirken bauten die Verantwortlichen Mauern um das Fabrikgelände und stellte politisch Gefangene ein, die dann für IKEA Stehlampen bauen mussten.

Diese Lampen wurden unter anderem in dem 1980 von AKA Elektric herausgegebenem Katalog abgebildet mit dem Hinweis dass sie von der Neontechnik aus Halle sind. Zwei Jahre später erschienen dieselben Lampen hübsch ansprechend aufgemacht im IKEA Katalog von 1982/83.

Das Land Sachsen-Anhalt informierte im Juni 2012 darüber, dass 1989 zur Wende 25 Gefangene der JVA Dessau zur Arbeit in der Neontechik untergebracht waren. Da sich keiner der Nachbarn an Gefangene erinnern konnte unter denen auch Werksangehörige waren, dauerte es eine Weile ehe ich dieses Rätsel lösen konnte. Der ehemalige Mitarbeiter Uwe Sonabend räumte ein, dass nicht nur für Ikea Küchenlampen gebaut und sogar in Halle endkonfektioniert wurden, sondern ebenso auch für Quelle, Horten und für die englischen Handelskette Tesko. Die Neontechnik hatte einen weiteren Betriebsteil in der Frohen Zukunft, die alte Lampenfabrik, dort lieferte ein ehemaliger Mitarbeiter öfter irgendwelche großen Tafeln aus, die dort von den Häftlingen entgegengenommen wurden. Nach der Wende wurden die Unterkünfte aus der Frohen Zukunft zurückgebaut und erst dann in der Dachetage in der Hordorfer Straße 4 für afrikanische Asylbewerber genutzt, aber nur drei Monate, dann gab es eine Razzia wegen Drogen, behauptet ein Nachbar. 1991 versuchten die Mitarbeiter ihr florierendes Unternehmen selbst zu kaufen. Dazu kam es nicht. Die Neontechik bekam einen holländischen Investor und hieß dann Armada Neontechnik. Es schien laut einiger ehemaliger Werksangehöriger so, dass die mit Absicht die Fabrik an die Wand fuhren, damit sie anschließend die zuvor angeschafften Laser und Produktionsstraßen aus der Insolvenzmasse herauslösen konnten und schuldenfrei in einem neuen Betrieb zu verwenden. Wahrscheinlich war diese Behauptung nur eine Reaktion auf den Frust Ihrer Arbeitslosigkeit. Denn der ganze Betriebsteil in der Hordorfer Straße 4 wurde 1998 aufgegeben und vollständig am neuen Standort in Hohenturm ausgelagert. Ein Chef namens Urbscheid wohnte zu dieser Zeit noch in der Villa und hatte die Querelen nicht überlebt. Zurück blieb ein Graupapagei, der dann in die pflegenden Hände von Herrn Mohr, damals Hausmeister  kam, der heute fast 20 Jahre später immer noch ein kleines Lager für Hasendraht auf dem Gelände hat.

Um die Geschichte des Fabrikgeländes in der Hordorfer Straße 4 abzurunden sei erwähnt dass zwischen 1961 und 1998 große Reklametraversen hergestellt wurden, die mit farbigen Neonbuchstaben ausgestattet wurden.  Auch für den Ostblock bis hin zu den Dachaufbauten vom Flughafen Moskau war diese Werbung wichtig. Ältere Nachbarn erinnern sich noch an die Bilder wie 40 Rotarmisten in seltsam anachronistischen Arbeitsbekleidungen in den 80iger Jahren den Rinnsteig tief wie einen Schützengraben aushoben um dort einen Telefondraht für Neontechnik verlegten, wahrscheinlich stand das im Zusammenhang mit den Aufträgen für die damalige Sowjetunion.

Die gesamten Entwürfe, Blaupausen und Hektographenausdrucke befanden sich auf den Dachböden und wir überließen diese Unmenge von vollgerammelten Hundefänger voll  2011 dem Buchstaben Museum in Berlin, die sich mit der Aufarbeitung beschäftigen sollten. Ein Beispiel dafür war auch die Flughafen Aufbauten von Schönefeld. Aber auch die blauen Buchstaben für die Deutsche Bankfilialen und die BP Tankstellen wurden zunächst an den Lasern in der Hordorfer Straße 4 hergestellt.

In den Wendejahren von 1987 bis 1991 zeugt ein noch vorhandenes Registratur Buch von den Aufträgen und vor allem Stornierungen.


Hier eine Auswahl:

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Berlin: Rewatex Schriftzug, sowie die „Flinke Jette“ am Kombinat Rewatex in Berlin gebaut zwischen Januar 1987 – Juni 1987

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Cottbus: „Kammer der Technik“ Cottbus zwischen 87 und 88

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Saalfeld: Dachaufbauten, Digitaluhr, Doppellinse Zeiss und ein Roter Stern für das Kombinat Carl Zeiss Jena Betrieb Saalfeld zwischen April 1987 und Juli 1989 im Kombinat VEB Neontechnik entworfen und ausgeführt

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Bautzen: Kaufhalle

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Leipzig: Neon Werbung für VEB Fritz Heckert Werk Karl Marx Stadt auf dem Leipziger Hauptbahnhof „Partner auf 5 Kontinenten“


Weitere Projekte (ohne Foto)

Ilmenau: VEB Technisches Glas und figürliche Darstellung in Ilmenau zwischen 87 und April 89 ausgeführt

ab 1987 etwa 100 Neonreclamen für die Olympischen Spiele Leuchtringe in Barcelona

Casablanca Marocko Firmenschriftzug Atlas 1987

Moskau: Werbung für Orwo Film 1987

Cottbus: Straße der Jugend KfZ Instandsetzung Figuren Schriftzüge

Torgau: Kaufhalle mit Würfel Wilhelm Pieck straße

Magdeburg: Volksbuchhandlung „Otto von Guericke“ 87-89

Magdeburg: Hauptbahnhof Schriftzug fertig 88

Leipzig: VEB Kombinat Polygraph Schriftzug März 89 Johannisplatz Leipzig

Neues Deutschlang Schriftzug in Cottbus, Erfurt, Frankfurt/O, Halle, Magdeburg 1987/ Demontiert 1991

Eilenburg: Ost Lichtspiele fertig Oktober 1989

Arnsdorf: VEB Narva“Ro Lux“ Leuchtenbau

Magedeburg: VEB Nachrichtenelektronik Lübecker straße 53 fertig im Oktober 1989

Leizig: Dewag Messe Kassetten 1989

Eberswalde: VEB Kranbau Dachanlage 1989

IFA Magdeburg


Die jüngste Geschichte begann 2004. Da wurde das fast leerstehende Objekt von einem Verein namens Kunstwerkstatt e.V. wiederbelebt. Es zogen Kleinunternehmer ein, wie Boxenbauer, Autotuner, Orgelbauer oder Restauratoren. im Jahr 2012 waren alle vorhandenen Räume vermietet, die meisten Räume dienten jungen Leuten zum musikmachen oder als Ateliers. Der neue Besitzer ist Gabriel Machemer, welcher das gesamte Gelände an den gemeinnützigen Verein Hühnermanhattan verpachtet hat.

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  1. Vielen Dank für den interessanter Artikel! Prima Tipp.

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